Donnerstag, 26. November 2009

Kampf der Kulturen: Farmarbeit gegen leichtes Leben in Napier


Puh! Es tut gut, mal wieder schnelles Internet verfuegbar zu haben. Das habe ich jetzt eine Woche schmerzlich vermisst. Der Grund dafuer: Kelly und ich waren auf einer Farm in Hawke's Bay, arbeiten gegen Kost und Logis. Dort, am Ende der Welt, gibt es noch Internet, das die Telefonleitung blockiert und so langsam ist, dass man nebenher Solitaer o. ae. spielen muss, um nicht verrueckt zu werden. Lustig! Ich dachte, Dial-in waere ausgestorben... Doch Neuseeland haelt die eine oder andere Ueberraschung fuer mich bereit! Unter anderem... diese Farm.

Wow. Welcome to the Silvertrees wurden wir von einem Schild begruesst, das weiterhin verkuendete: Home of The Gambler. Insgesamt ist zu sagen: Pferdezuechter in Neuseeland sind offensichtlich ziemlich arm dran. Wir waren umgeben von 40 Pferden, davon etwa zehn Fohlen, 50 Kuehen, 60 Schafen und 5 Eseln (zwei zuckersuesse Eselbabies!), einer depressiven Farmersfrau und ihrem zurueckgebliebenen Sohn.
Halt Stop, keine Witze ueber benachteiligte MitbuergerInnen. Also: Kyle war ein Autist, der vielleicht im Herzen gut ist, das aber nicht immer so nach aussen transportieren konnte. Nachdem wir uns geweigert haben, stundenlang mit ihm Videospiele (Autorennen! Auf einer Farm!) zu zocken, war er beleidigt mit uns und ist sein Lamm Minty streicheln gegangen; ab diesem Zeitpunkt hatten wir ihm vom Hals.
Maxine, unsere Gastgeberin, war manisch depressiv, extrem launisch - meistens aber grantig. Ich kann nur raten, wann sie das letzte Mal ihr Bad geputzt hat... Fragen wollte ich sie nicht, da sie sich wahrscheinlich nicht daran erinnert haette. Sie hat, im Gegensatz zu ihrem Sohn, lieber X-Box gezockt als Playstation, und oefter als alle drei Tage duschen war nicht erlaubt, da die Wasserversorgung der Farm eine fragile Angelegenheit war (das erklaert vielleicht auch den Anti-Putzwahn unserer Gastgeberin). Zu Essen gab es Tonnen von Fleisch (ich werde mich fuer mindestens eine Woche vegetarisch ernaehren muessen, da mir im Moment allein der Geruch von Fleisch Uebelkeit verursacht), manchmal mit Beilage, meistens Pommes. Lecker!

Die wenigen Momente, in denen ich Maxine gluecklich gesehen habe, war sie bei ihren Pferden, vor allem den Fohlen. Das ist auch das einzige, das ich ihr zugute halten kann: Sie hat ihre Pferdis wirklich gut und liebevoll behandelt und hatte immer das Beste fuer sie im Sinn. Das hat Kelly und mich dann auch mit unserer etwas dreckigen und schaebigen Unterkunft versoehnt, mehr noch, da wir due Moeglichkeit hatten, fast jeden Nachmittag zu einem anderen der wunderschoenen Straende in der Umgebung zu fahren. Menschenleer, feiner, weisser Sand und jede Menge Muscheln - ein Traum! Das Wasser eisig kalt, aber das hat Kelly und mich nicht abgeschreckt.
Nach etwas ueber einer Woche Fohlen streicheln, Eselbabies knutschen und Lamm Minty zu einem ordentlichen Schaf zu erziehen (Er wurde mit der Flasche aufgezogen und hat immer mit dem Hund gespielt, was sein Ichbewusstsein ziemlich verzerrt hat) hatten wir aber genug und haben unsere Farm wieder verlassen, um in Napier etwas Kultur abzugreifen.
Das einzig Dumme daran: Eine von Maxines Stuten war hochtraechtig und eigentlich ueberfaellig, ihr Fohlen zu bekommen. Wir hatten gehofft, die Geburt mitansehen oder zumindest das neugeborene Fohlen bestaunen zu koennen, doch leider haben wir durch unsere Abreise diese Gelegenheit verpasst. Immerhin konnten wir zweien der Pferde aus naechster Naehe beim Sex zusehen! Irgendwie witzig, irgendwie aber auch abstossend und ziemlich gewalttaetig. Zumindest die Geraeusche, die sie dabei von sich geben, klingen beaengstigend menschlich.

Aber es half nichts, wir haben saubere Umgebung, gutes Essen und gepflegte Unterhaltung vermisst, was uns schliesslich nach Napier getrieben hat. Und endlich wird eine Vision wahr: Eine schoene Stadt, die der atemberaubenden Natur Neuseelands Paroli bieten kann! Wow! Ich dachte schon, das gaebe es vielleicht nicht. Fuer mich als Europaeerin, gewoehnt an oder besser vezogen von niedlichen mittelalterlichen Stadtkernen, riesigen Kirchen und allgemein imposanter Architektur aus allerlei Epochen, sehen die meisten Kiwistaedte fad, langweilig und lieblos aus dem Boden gestampft aus (Das liegt natuerlich daran, dass die Europaeer erst vor weniger als 200 Jahren angefangen haben, Neuseeland ernsthaft zu besiedeln und das Land im Grunde ueber keine Geschichte verfuegt, demnach auch ueber keine staedtebauliche). Napier aber ist die Ausnahme von der Regel, es quillt architektonisch ueber von Art Deco und Spanish Mission. Nicht, dass mir das vorher ein Begriff gewesen waere... Kurz gefasst, alle Gebaeude ist schoen, bunt und sehen froehlich aus, mehr noch durch den permanenten Sonnenschein, mit dem uns der Fruehsommer hier verwoehnt. Nicht nur die Haeuser von aussen sehen gut aus, sondern sind auch von innen gefuellt mit gemuetlichen Cafes, schicken Bars, schraegen Second Hand-Shops und Laeden, die einfach nur allerlei Krimskrams an Interessierte verkaufen. Alles in allem: Napier ist der richtige Ort, um sich von einer Woche harter Farmarbeit zu erholen und es sich etwas gutgehen zu lassen.
Kelly und ich haben unseren ersten Abend gestern zelebriert, indem wir in einem stylischen Restaurant Essen gegangen sind und ein Vermoegen fuer ein Minimum an (superleckerem) Essen auf dem Teller hingeblaettert haben (wie angekuendigt: Vegetarisch in meinem Falle). Dekadent!, aber noetig, um nach einer entbehrungsreichen Woche wieder aufatmen zu koennen.

Die weiteren Plaene sind nun, Napier noch ein Weilchen zu geniessen und danach eine mehrtaegige Fahrradtour um das East Cape zu veranstalten. Wir sind uns noch nicht abschliessend klar darueber, wie wir das organisieren werden, aber der feste Wille ist vorhanden - wird schon.
Es gruesst aus der Hauptstadt des Art Deco... die reiselustige Lilly

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